Soll einer sagen, Männer zeigten keine Gefühle

 

Die Ränge füllen sich. Kunterbuntes Volk. Friedlich nebeneinander sitzend auf harten Betonstufen. Noch kurz die Köpfe zusammengesteckt, Wetten abgeschlossen, die Ausgangslage rekapituliert. Gegenüber die Hardcore-Fans: Ein Meer aus Halstüchern, Fan-T-Shirts sowie Transparenten und in der untersten Reihe die Tambouren der Galeere. In der rechten Kurve leicht verloren ein Häuflein Unverfrorener, die wacker grosse Gegnerfahnen schwingen. Auf meiner Seite nehmen Anzüge auf gepolsterten Stühlen Platz. Höflich werden Floskeln ausgetauscht, wird wissend einander zugenickt und gediegen an einem Bier aus der Lobby genippt. Wir zwei Frauen bilden die augenfällige Ausnahme in dieser illustren Gesellschaft von wichtigen Männern.

Höllisch polternde Musik flutet jetzt das Stadion. Die Werbung flitzt wild im Kreis herum und blinkt um Aufmerksamkeit, während der Moderator Vornamen ins Mikrofon brüllt und deren Nachnamen aus der Menge «echonen» – was ich nach einer Minute endlich aus dem Geschepper herausgefiltert und verstanden habe. Derweil schiesst der Genannte in Vollmontur aufs Eis und reiht sich in die Heim-Mannschaft ein. Dass dem Gegner bereits beim Auftritt nur Häme wartet ist offenbar Part of the Game; mir tun sie etwas leid, die Verpfiffnen.

Nun gut, auf in den Kampf. Doch der dauert gerade mal wenige Minuten, da wird auch schon lauthals geschrien, geschimpft und gestampft. Ich hab noch gar nicht realisiert, was los ist, legt der DJ bereits die finstersten Töne auf: „Strafe muss sein“, wummert da eine böse Stimme dunkel über den Äther und jagt mir eine Hühnerhaut den Rücken runter. Mr. Nicht-so-Propper der gegnerischen Mannschaft muss für 2 Minuten ins Kabäuschen aufs „Schämdibänkli“. Zustimmendes Nicken in (fast) allen Rängen, das kollektive Zischen erfasst auch die braven Krawattenträger um mich her; dieser „!..S!!!..A…“ („Schnuderbueb“ würde Goethe wohl übersetzen).

Schon geht es weiter. Ach ja, noch dies: Ich hab mich heimlich auf die gegnerische Seite geschlagen, ich mein ja nur, das macht doch sonst keinen Spass, oder? Entsprechend breit mein konspiratives Grinsen, wenn der Puck im heimischen Tor landet. Schulterzucken und Augenbrauen-Hochziehen sind minimalistische Gesten meinerseits, die meinem tobenden Nachbarn – dessen Halsschlagader gefährlich angeschwollen ist – helfen, wieder auf den Boden resp. den Sessel zurück zu finden. „Nicht zu glauben, oder?“ schüttle ich entrüstet den Kopf, verwerfe die Hände und rolle mit den Augen; er fühlt sich irgendwie verstanden und ist gar versucht, mich für mein Spielverständnis und meine Solidarität zu bewundern. Puh, wenn der wüsste, wie falsch er liegt!

Mittlerweile kocht der Hexenkessel. Verzweiflung weicht prasselnder Kritik gegen den Schiri, der keinen blassen Schimmer von den Regeln zu haben scheint – zumindest dann nicht, wenn die Heim-Mannschaft den Kürzeren zieht – dann wieder selige Zufriedenheit, wenn die „Giele uf em Ys“ die Sache richtig gemacht und dem Gegner „eine inebrämst“ haben.  Gegenüber der Taktgeber, der den Trommlern, Wirblern und Schreihälsen auf Teufel komm raus einheizt, als gälte es, einen Krieg zu gewinnen – ob denen morgen überhaupt noch ein Ton aus dem Halse kriecht? –  vor, neben und hinter mir ein Lamentieren, Fluchen und Stöhnen, Hände-verwerfen, Jubeln, konsterniertes In-Sich-Zusammensacken, um gleich wieder wie von der Tarantel gestochen hoch zu springen in der Hoffnung auf ein „Goal? Ja, aaaah.. nein, verflixt und zugenäht…was spielt jetzt der schon wieder für einen Seich..!?“.

Ich leide. Natürlich nicht mit meiner Mannschaft, denn die haben – Sie ahnen es – gewonnen. Ich leide mit den schwitzenden, völlig erledigten, erst noch jauchzenden, dann jäh verstummenden, zu Tode betrübten, bleichen Gesichtern mit querem Schlips und verzogenen Hemden um mich her, die erschöpft und konsterniert Richtung Bier von dannen taumeln und die Welt nicht mehr verstehen.

Soll einer sagen, Männer zeigten keine Gefühle! Der war noch nie an einem Eishockeymatch!! «Prost Nägeli», denk ich leise und hebe in stiller Freude das Glas – auf die geknickten Helden an der Bar!!!

One thought on “Soll einer sagen, Männer zeigten keine Gefühle

  1. Ich muss lachen sogar ziemlich laut bei dieser einmalig exakten Beschreibung der männlichen Gefühlswelt! Ich bin stolz darauf Gefühle zu haben 🙂

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert