Paradigmenwechsel

Rechtsphilosophie, Universität, 1995

Ein Funkgespräch auf hoher See.

Einer weist den andern an, eine Kurskorrektur 20 Grad Nordost vorzunehmen.

Der andere weigert sich. Solle sich doch dieser 20 Grad Südost bewegen. Funkstille. Wiederholung der Szene; ohne Erfolg.

Dann, mit Hinweis auf Kollisionsgefahr der Befehl, Nordost unverzüglich anzupeilen. Man ahnt es; der andere foutiert sich.

Was postwendend per Funkspruch begründet wird: «Ich korrigiere nichts: Bin ein Ozeanriese».

«Ich korrigiere auch nichts: Bin ein Leuchtturm».

 

Lebensphilosophie, Grossvater, 1988

Wir schweigen. Rücken an Rücken im dümpelnden Boot auf dem See. Jeder eine Angel in der Hand. Wind, Sonne, Wasser, Stille. Wir warten. Angelehnt ans Vertraute; das ist schön.

Das Holzbrett auf dem wir sitzen – quer über das Fischerboot gelegt – hat eine genaue Tiefe. Das macht Sinn: Ist der zappelnde Fisch kürzer als die Bretttiefe, hat er Glück; zurück ins freie Nass! Ist er gleich lang oder länger, ruft die Bratpfanne und er landet im Wasserkübel.

Was er tue, wenn er vor lauter Bäumen einmal den Wald nicht mehr sehe, will ich von Grossvater wissen. Grossvater konnte ich alles fragen, immer; er antwortete, selbst wenn er keine Antwort hatte. Nun, dann wandere er auf einen Berg. Von dort oben sähe er klarer, alles relativiere sich, werde klein und nichtig und er gewinne wieder den rechten Blick aufs Ganze.

 

Ersterer Schauplatz erzählt von Begegnung zwischen Menschen.

Von der äusseren Auseinandersetzung mit inneren Überzeugungen. Vom Umgang mit Anderem. Vom Recht haben und Recht haben wollen. Von Zwängerei und ihrem zweifelhaften Nutzen. Von angeblicher und wirklicher Macht. Von Wissen und Weisheit. Einsicht und Nachsicht.

Und von der Perspektive, die alles verändern, ins rechte Licht rücken, relativieren kann.

 

Der zweite Schauplatz spricht auch von Begegnung des Menschen.

Von seiner inneren Auseinandersetzung mit äusseren Umständen. Vom Ich und der Umgebung. Vom Einordnen. Von Ohnmacht. Vom Orientierungswunsch und dem Unvermögen. Vom Kleingefühl und Grossmut. Von Abstand und seiner Not-Wendigkeit. Von Distanz und Klärung. Ausweglosigkeit und Möglichkeiten. Angeblicher Grösse und tatsächlicher Belanglosigkeit.

Und von der Perspektive, die alles verändern, ins rechte Licht rücken, relativieren kann.

 

So bin ich – dem weisen Rat meines Grossvaters folgend – ab und an schon auf meinen Lieblingsberg gewandert, dankbar um den Perspektivenwechsel, der Grosses, Unverständliches mit jedem Höhenmeter überschau- und erklärbar oder unwichtig werden lässt.

Sah ich dann weit unten noch ein Schiff auf dem See, dachte ich, «lass Dir etwas sagen von Deinem Gegenüber, wer weiss, ob es ein Leuchtturm ist»!

 

 

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