Man muss das Eisen schmieden, solange es heiss ist

 

Stellen Sie sich eine Schmiede vor; aber nicht irgendeine, sondern eine im Stile Fellinis: Durch einen hohen Raum, die Wände bis unter die Decke gesäumt mit Ablageflächen, wo sich Metall in allen Längen und Durchmessern stapelt und nächstens droht, Ihnen auf die Füsse zu fallen, gelangen Sie vorbei an Fräsen und Bearbeitungsmaschinen aus verschiedensten Zeitaltern zum Herzstück des Handwerker-Geschehens: Zur gigantischen Esse unter einem tiefschwarzen Kamin, der Richtung Dach gen Himmel flieht. Die Kohlen glimmen weiss, das Wasserbecken wartet stumm auf Badegäste, die Zuluft auf dem Maximum. Neben der Esse eine Wand voller Hämmer, nicht grad jeder Couleur, aber jeder Grösse. Ein Arsenal an Werkzeugen, deren Namen Sie kaum buchstabieren, schon gar nicht ihrem Zwecke zuordnen können.

Und dann kommt der Schmied. Sehen Sie nun auch eine Fluhe von einem Mann vor sich, mit einer in allen Schwarztönen melierten Schürze um einen wohlgenährten Bauch, die Hemdsärmel spannen über dem Bizeps, Schweissperlen auf seiner Stirn, Hände wie Schaufeln, tiefe Stimme, der das Eisen von Faust aus der Glut befreit und nun mit der Kraft eines Bären mittels Hammer auf dem hellen Amboss das glühige Metall in Formen und Schranken verweist, wie ihm beliebt?

Ich sah vorletztes Wochenende genau diese filmwürdige Kulisse mit einem markanten Unterschied: Der Schmied vereinte Kraft und Stärke in seinem Geist und nicht in der Statur. Er war dünn wie ein Bleistift, sprach mit heller Stimme, man hätte ihm gut und gern die Rolle des Tenors zugedacht; aber Achtung! Diese drahtige Energie, konzentrierte Wucht, mit welcher er seine Kraft kanalisierte und das Eisen punktgenau traf. Fast schon beängstigend, vor allem aber faszinierend. Unter geschickten Schlägen entstand in Windeseile eine Skulptur aus diesem vormals eckigen Eisenstab. Ein rasches Hin- und Her zwischen glühend-heisser Esse und silberglänzend-kühlem Amboss. Keine Zweifel, sondern Entschlossenheit auf dem Gesicht, veranschaulichte dieser Künstler, was auch im übertragenen Sinne gilt: Man muss das Eisen schmieden, solange es heiss ist.

Die Gelegenheit beim Schopf packen, jetzt, nicht zögern, sonst erkaltet das Eisen oder bricht im schlimmsten Fall. Frohgemut die Chancen nutzen, es braucht dafür eher geistige Dynamik, denn muskulöse Schlagkraft.

 

2 thoughts on “Man muss das Eisen schmieden, solange es heiss ist

  1. ich sehe sie beide vor mir, den bären von einem schmied, der wohl aus dem land der riesen stammt. oder, noch eher, einer sage, die irgendwo im berner oberland oder im emmental spielt, in der er mit dröhnendem lachen plötzlich verschwindet mit samt der ganzen schmiede. und nur ein nagel, merkwürdig geformt, zweifel daran zulässt, ob es wirklich nur ein traum war…
    und der «bleistift-schmied», der mit geschmeidigkeit, konzentration und gebündelter energie dem glühenden eisen seine form gibt. er erinnert mich an einen karatekämpfer, der ebenso mit wachem geist, konzentriert und gezielter energie seiner absicht wirkung verleiht. von nichts zuviel, keine verschwendung, genau, was es braucht, um das ziel zu erreichen. wunderbar beschrieben, liebe manuela. deine texte sind mir eine freude!

    1. Liebe Katharina
      Das wäre doch eine spannende Wendung gewesen, wenn die ganze Schmiede auf wunderliche Weise verschwunden wär und einzig dieser Nagel Zeugnis gäbe, dass irgendwie doch einmal etwas da war: nur was oder wer?
      Der «Bleistift»-Schmied übrigens schmiedet ganze Ziegenherden in Lebensgrösse; wenn man genau hinhört, ruft doch in der Ferne der Alpöhi und es würde mich nicht wundern, wenn die ganze Herde eines Tages aus der Asche der Schmiede klammheimlich Richtung Berg wanderte und dort noch in hundert Jahren erzählt würde, dass diese ganz besondere Ziegenart ewig lebe, da sie aus besonders robustem Holz geschnitzt sei, vielleicht die Urziege aus dem Kaukasus…

Schreiben Sie einen Kommentar zu Manuela Gebert Antworten abbrechen

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert