Diese Woche haben in unserm Dorf die Glocken geläutet. Um elf Uhr am Vormittag. Was eigentlich normal ist, sie läuten jeden Tag um elf Uhr (verkünden, dass in einer Stunde Mittag ist und nun Zeit wäre, das Mittagessen zuzubereiten). Nur; sie haben an diesem Tag drei Mal hintereinander eine Viertelstunde lang geläutet. Schon nach wenigen Minuten über elf Uhr hinaus war mir klar, was dies bedeutet.
Es ist eine Einwohnerin unseres Dorfes gestorben. Denn dann will es die Tradition, dass entsprechend die Kirchenglocken während Dreiviertelstunden Ihre Melodie ins Dorf hinaus tragen.
Mich erfasst jedes Mal, wenn ich daheim bin und diesen Klängen gewahr werde, eine Mischung aus Ergriffenheit und Respekt.
Die Ergriffenheit lässt mich innehalten in meiner Tätigkeit und an die mir unbekannte Person denken. Unbekannt deshalb, weil zu diesem frühen Zeitpunkt meist nur gerade die Angehörigen wissen, wer von dieser Welt gegangen und den Weg in eine andere Welt angetreten hat. Es spielt auch keine Rolle, dass ich den Namen (noch) nicht kenne. Mich dünkt es ein schöner Ruf der Kirchenglocken, die uns Mitbewohner aufmerksam machen, dass wir jemanden aus unsern Reihen verloren haben. Sie geleiten mit ihrem Lied ein Stück weit die Seele dieser Person; zumindest fühlt es sich für mich so an, wenn ich das Glockenspiel höre.
Respekt empfinde ich deshalb, weil in unserm Dorf nicht einfach sang- und klanglos ein Mitmensch unsere kleine Gemeinschaft verlässt, sondern seiner gedacht wird mit einem hörbaren Zeichen.
Ein Anachronismus in unserer digitalen Welt, mag man sagen. Mir gefällt diese Tradition, sie hat nichts Aufdringliches in ihrer Offenheit, sondern – anders als die aufgezwungene Transparenz der sozialen Medien – eine berührende Geborgenheit.