Früher

 

… war alles besser, gähn! Keine Angst, darüber verlier ich mich nicht oder vielleicht ein ander Mal. Wie also soll der Satz somit lauten?

Wie wärs damit: …hatten wir’s schwerer als ihr, heute habt ihrs leichter. Falls Sie das noch nie gehört haben, schreiben Sie mir!

Ich mag mich erinnern an den Moment, als ich das erste Mal mit dieser Aussage konfrontiert wurde. Das war vor 25 Jahren. Damals half ich jeweils freitags an einem Mittagstisch mit: Tisch decken, Gemüse rüsten, Gäste begrüssen, Essen servieren, abräumen, abwaschen und abtrocknen und dazwischen essen zusammen mit vorwiegend zwischen 80- und 100-Jährigen. Eine Zeit, an die ich gerne zurückdenke. Gemütliche Stunden; die Teller voller Gerichte, die ich fast nur vom Hörensagen kannte: Weisse Rüben, Sauerampfern, Gschtungg, Dörrbohnen und solche Abenteuer. Dazwischen die ver-rücktesten Geschichten von vor, während und nach dem Krieg; auswendig zitierte Gedichte von John Meynard über die Glocke bis zum Joggeli, der die Birnen bis zum trümmlig-werden schüttelte. Und natürlich war da nicht nur heiter Sonnenschein. Selten zwar kam Gewölk am Himmel auf , dann aber haftete den Erzählungen manchmal etwas Säuerliches an. So auch an diesem Tag. Das kurze Jammerlied meines Gegenübers gipfelte in obigem Satz und hing dann etwas schief und bedeutungsschwer vor meinem Gesicht in der Luft herum. Es war klar, ich sollte etwas erwidern.

Puh, was soll man hierzu sagen? Ich begann damit, zu konstatieren, dass durchaus etwas Wahres an dieser Feststellung sei, denn ich stellte mir besagte Dame in Ihrem unmittelbaren Umfeld vor: Der Waschtag war da wohl noch wörtlich zu nehmen. Also, Wäsche eingeweicht, Wasser gekocht, Zuber und Brett herbeigeschleift, Gall-Seife bereit gelegt, Ärmel nach hinten gekrempelt und auf ins Getümmel resp. in die heisse Lauge. Dann das Waschgut ausgewaschen, gespült, gewrungen und mit holzigen Klammern über die Wäscheleinen im Garten gehängt. Da wusste frau am Abend, weshalb die Hände rot, der Rücken krumm und sie hundemüde war. Ja und eben, es dauerte den ganzen Tag! Der Staubsauger war zu dieser Zeit auch noch nicht erfunden, Bügeln hiess heisse Kohlen ins Eisen füllen und möglichst die Leinen nicht verbrennen. Zum Kochen ein Feuer im Herd gemacht, den Rahm mit dem Handrührgerät (haben Sie im Ballenberg vielleicht auch schon bestaunt) fröhlich bis zum Durchdrehen geschwungen, die Kleider geflickt an der Fusspedal-betriebenen Nähmaschine und am Samstag den Platz mit dem Besen gefegt. Haushalten war da noch ein Full-time-Job und ich fragte mich dann, was wir im Zeitalter von Waschmaschine, Staubsauger-Selbstfahr-Gerät, Bügel-Service, Abwaschmaschine (die mittlerweile leer steht, weil wir ja gar nicht mehr kochen dank Convenience-Food), Zalandoo und Co. (nein, das kam erst später) eigentlich so machen als Hausfrau: Stimmt, wir gehen auswärts arbeiten, weil wir daheim nichts mehr zu tun haben…

Nun, ich schwenkte dann in Richtung Einkaufsgebaren und fragte die liebe Dame, ob es diesbezüglich nicht sein könnte, dass wir’s heute schwerer haben? Wäre Sie beim Wunsch nach einem Erdbeerjoghurt und einem Kilo Brot früher einfach in den Laden gehüpft, um das einzige Erbeerjoghurt aus der Kühle zu nehmen und sich beim Brot abwechslungsweise für das dunkle und dann wieder für das helle (aber nur für den Sonntag) zu entscheiden, gestalte sich diese Handlung heute doch sehr viel komplizierter, geradezu als energiefressender Kraftakt. Weil: Ganze Wände von Joghurt, 20 Sorten der Erdbeere gewidmet, einmal mit und einmal ohne Beerenstücke, dann light, mit Rohr-Zucker oder extrabakterienversetzt, Bio oder mit Geleeboden zum Durcheinanderrühren usw. Die gleiche Qual in der Brotabteilung: hell, dunkel, weiss, halbweiss, Vollkorn, kernenübersät, 250/400/500g, rund, lang, kranzförmig, verzwirbelt, ganz abgesehen von all’dem Kleingebäck, das aufzuzählen den ganzen Vormittag dauern würde. Wie um Gottes Willen so etwas leichter denn früher sein könne?

Wir diskutierten lange und kamen überein, dass jede Zeit ihre Erschwernisse und Erleichterungen hatte und ich bin im Nachhinein froh, dass wir diese Diskussion nicht heute zu führen hatten. Nicht auszumalen, wenn ich ihr die Tücken einer Kaffeebestellung bei Starbucks erläutern müsste, da war der Café Hag ein seliges Glück der Einfachheit, dass erst noch die Nerven schonte (ansonsten aber wohl kurlig schmeckte, aber lassen wir das).

Komisch nur, dass ich auch bereits in einem Alter angekommen bin, das mich ab und zu an die Vergangenheit denken lässt, hingegen mit umgekehrten Vorzeichen: Die Retrospektive hat so einen wohligen Wow-Effekt, hey ich weiss noch, dass und wie es auch einfach gehen kann…

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