Eine Zugfahrt, die ist lustig

 

Wie ist das doch herrlich, einfach einsteigen, ein freies Plätzli am Fenster wartet schon und gegenüber gähnende Leere, sodass du die Füsse hochlagern, ein Buch aus der Tasche nehmen und absinken kannst in die Tiefen einer fesselnden Geschichte! Zwischendurch einen Blick durchs Fenster auf die Gegend, die vorbeiflitzt. Grüne Wälder, saftige Magerwiesen, grasende Kühe, kunterbunte Häuschen. Und die nächste Seite umgeblättert. Ach, so ein Tee und Panettone wären jetzt was, denkst du dir, da tippelt schon fröhlich der Chef de Cabine daher und nimmt motiviert die Bestellung auf. Hier werden noch Wünsche erfüllt, das glaubst du gar nicht! Einmal die Sahne umrühren und Tea-Time kann beginnen. Sonst noch ein Wunsch? Nein, denn der smarte Zugchef hat bereits mit einem Lächeln dein Ticket eingelesen und wünscht dir eine angenehme Weiterreise, «in Zürich dann auf Perron 9 Richtung Chur», säuselt er noch freundlich und winkt beinahe zum Abschied; danke, wow, was für ein Service!!

So; jetzt nochmals von vorne. Ein Gerangel auf dem Perron, unfassbar! Die Handtasche als Schutzschild in Stellung gebracht vor angriffigen Ellbogen, die taktisch für den optimalen Eintritt ins fahrende Büro ausgefahren werden. Nachdem das Gepuffe überstanden ist, du dich endlich auf einen Sitzplatz gepfercht und mit kurzfahrigen Bewegungen ein Buch aus der Tasche geklaubt hast, würdest du eigentlich gerne einen Tee bestellen. Leider wird der Barman erst 10 Minuten vor Zürich gestresst durch die Gänge hüpfen, den Taschen und Rollkoffern ausweichend freudlos sein Angebot vor sich hin schimpfen. Wer kann’s ihm verdenken. Hören tut ihn ja keiner, da jeder verstöpselt mit der Welt verbunden ist und so wichtige Gespräche führt wie «ich rufe an wegen der Teppich-Bestellung, die aber anders als in der Offerte .. hallo?.. die Laufmeter stimmen nicht; doch, ich öffne gleich die Dokumente… Moment, das Netz, hören Sie mich noch? Ja? Gut! Eben, da hab ich’s, es sollten eindeutig 12 Meter…» Das übrige Rauschen zu verdrängen suchend zählst du zum hundersten Mal auf 30, hoffend, nicht die Nerven zu verlieren. Der Tee ist ohnehin vergessen, wo wolltest du den auf diesem Zwergentischchen überfüllt mit Tastaturen und Kabelsalat auch unterbringen? Dann vielleicht einen Blick ins vorbeiflitzende Grün? Soll entspannen, hast du mal irgendwo gelesen. Schwarz, grün, schwarz, grün, was zum Kuckuck.. ah ja, die Tunnels, die Löcher im Netz, die zu Verwünschungen bei den fahrenden Telefonisten führen. Erschöpft steigst du in Zürich mit 10-minütiger Verspätung aus. Die Rücklichter des Chur-Express blinken nicht mal mehr hämisch. Nur die muntere Dame der neusten Bahn-Werbung gibt dir den Rest: «Meine grauen Haare habe ich nicht vom Billettkauf». Ist jetzt nicht wahr?!

 

 

3 thoughts on “Eine Zugfahrt, die ist lustig

  1. Liebe Manuela, ich beginne die lustige Zugfahrt zu lesen und erinnere mich an meine Ausbildungsjahre. Da war das Zug fahren tatsächlich eingebettet in diese Idylle der erholsamen Tagträumerei. Wie liebte ich das! Ich lese weiter in deiner Erzählung und komme an in unserer heutigen Zeit. Meine liebe Freundin wohnt im Appenzellerland. Wenn ich sie besuche, packe ich den Rucksack und laufe meist zügig raus aus meiner Küche. Der Bus wartet unten an der Strasse. Der Chauffeur sieht mich und winkt. Die kommende Plauderei ist schlicht köstlich, der Abschied in der grossen Stadt herzlich. Meistens fragt er, wann ich wieder heimkomme. Ich sage es ihm. Die Zugfahrt ist weder gemütlich noch von Inspiration getränkt. Manuela, du hast es im Text auf den berühmten Punkt gebracht. Kurzum, wenn ich nach wundervollsten Appenzeller Stunden heimkehre, erzähle ich dem Chauffeur dies oder das. Er ist gerührt, hat auch dies oder das erlebt. Das absolut Schönste an der lustigen Zugreise ist für mich immer der genau gleiche Moment. Ich steige aus dem Bus unten an der Strasse, winke dem Chauffeur und laufe los. Meine Heimat ist still, das Gras grün, die Nacht nicht von Laternenlicht überschwemmt, es leuchten tausend Sterne. Ich höre Tiere, ich rieche Natur. In der Küche brennt Licht. Ich bin daheim.

    1. Liebe Franziska
      Du beherrscht nebst der Kunst der Auslassung jene der Poesie. Bin grad mit Dir mitgefahren im Bus, über Land. Den Chauffeur vor Augen, wie er zuhört und erzählt, dazwischen ein Billett druckt und dem Grosi das Kleingeld aus der Schale «chnüblet» und in die Hand leert. Hab Dich den «Hoger» hinauf heimgehen sehn und gedacht, dass Du ein sehr glücklicher Mensch bist.

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